Wie kam es dazu, dass du einen Blick zurückwerfen und deine Biografie aufschreiben wolltest?
Wir alle haben unsere eigene Geschichte, die wir aber manchmal auch vor uns her- oder sogar von uns wegschieben, weil wir das, was in der Vergangenheit passiert ist, als höchst unangenehm empfinden. Ich wollte mich mit diesem Buch meiner Geschichte stellen. Einerseits, um ein Stück weit damit Frieden zu schließen, aber vor allem auch, um zu verstehen, wer ich heute bin.
In meiner Kindheit und Jugend gab es unglaublich viele Verirrungen und schmerzhafte Momente. Davon haben sich auf meiner Seele Narben gebildet, die wahrscheinlich ein Leben lang bleiben werden. Deshalb war diese Aufarbeitung auch schmerzhaft, aber ich denke, dass man sich seiner Vergangenheit unbedingt stellen sollte, um zu verstehen, dass man sich Glück auch zu einem gewissen Grad erarbeiten darf. Denn nur so konnte ich mich weiterentwickeln. Entwicklung ist das Fundament für Zufriedenheit und Glück. Wenn wir glücklich sein wollen, ist es von großem Vorteil zu verstehen, woher wir kommen und auch wohin wir gehen, um der zu werden, der wir sein wollen.
Du hast gesagt, dass es auch schmerzhaft und anstrengend war, dich mit deiner Vergangenheit auseinanderzusetzen – wie hat sich das für dich angefühlt?
Jede Sekunde unseres Lebens und somit jede noch so kleine Geschichte ist in unseren Zellen gespeichert. Du kannst Dinge versuchen zu ignorieren oder sie zu unterdrücken, aber das Unterbewusstsein speichert alles, ob man will oder nicht. Als ich durch das Schreiben in die Vergangenheit abgetaucht bin und alles noch mal durchlebt habe, hatte ich ähnlich ungute Gefühle wie damals. Ich saß oft vor meinem Rechner und habe geweint. Wenn die Tränen dann allerdings getrocknet waren, wurde mir auch sehr deutlich, wer ich inzwischen geworden bin.
Es war wie bei einem Vorher-Nachher-Bild. Ich bin gerade sehr zufrieden mit meinem Weg und ich weiß, dass meine Bewusstseinsreise noch lange nicht zu Ende ist. Früher habe ich mich ganz oft selbst kleingemacht, dachte ich wäre anders und passe nicht so recht in diese Gesellschaft, unter anderem wegen meines Temperaments oder auch meiner Hautfarbe. Wo gehöre ich eigentlich so richtig hin? Diese Frage war sehr lange zentral. Sich durch diese Minderwertigkeitsgefühle durchzuarbeiten und daraus gestärkt hervorzugehen, geht nicht ohne Schmerzen, geht nicht ohne Mut. Die größten Dämonen in meinem Leben habe ich überwunden, weil ich nie stehen geblieben bin und mich stetig gefordert habe.
Sich den schweren Momenten zu stellen und beharrlich zu sein, verspricht immer Erleichterung.
Das sind die Siege, die wirklich zählen.
Also war es am Ende wie eine Befreiung, als du dir deinen ganzen Weg noch mal angeschaut hast?
Das kann man so sagen, ja. In uns allen steckt so unglaublich viel mehr als das, was wir selber von uns denken. Und oft sind es die Stolpersteine und Niederlagen, die uns zeigen, aus was für einem Holz wir geschnitzt sind.
Zu verstehen, dass ich so viel Macht habe, mein eigenes Leben zu formen, egal in was für eine Richtung und unabhängig von irgendwem, das ist wirklich Power. Selbstwert und Selbstbewusstsein schenkt dir die Freiheit, die sich jeder von uns wünscht. Oft ist dieses Paradies nur einen Gedanken weit entfernt.
Was macht dein Buch besonders? Was möchtest du den Leser:innen mitgeben?
Egal woher du kommst, egal in was für einer „Scheiße“ du gerade steckst, ob du Kohle hast oder nicht, welche Hautfarbe du hast, ob du dick oder dünn bist, schwul, hetero oder was auch immer, wir sind in all unseren Unterschieden dennoch gleich. Wir alle haben eine Geschichte und wir alle wollen lieben und geliebt werden, wir alle wollen glücklich sein und Anerkennung erfahren.
Je eher wir nach innen gehen, um Erfüllung zu finden und je eher wir nach Gemeinsamkeiten statt nach Unterschieden schauen, desto harmonischer können wir leben.
Wir sind Menschen, was für ein Glück und Pech zugleich. Wir sind Schöpfer, Erschaffer, stecken voller Ängste und Zweifel und wünschen uns in der Regel ein gesundes und langes Leben. Den Weg dahin muss allerdings jeder auf unterschiedlichste Weise gehen. Ich bin in meinem Leben auf einer Etappe, wo ich sinnbildlich auf dem Berg stehe, zurückblicke und mein Leben jetzt genießen kann – nicht, weil ich schon alle Kämpfe bestritten und gewonnen habe, sondern weil mir klar wird, dass mein größter Gegner ich selbst bin. Inzwischen habe ich mich aber zu einem Freund gemacht. Ich klage und beklage mich nicht mehr so viel, ich nehme die Gegebenheiten so hin wie sie sind und versuche das Beste daraus zu machen.
Was ich mit meiner Geschichte bezwecken möchte, ist, den ein oder anderen zu inspirieren, den Kopf nicht hängen zu lassen: „Keep your head up!“. Wir alle werden immer wieder Momente erleben, in denen wir das Gefühl haben, dass es nicht mehr weitergeht, wir nicht verstanden und einsam sind. Ich möchte mit meiner Geschichte vermitteln, dass es sich immer lohnt dranzubleiben und wieder aufzustehen. Auch wenn man anfänglich nur kleine und beschwerliche Schritte geht: Gerade die werden sich lohnen. Bleib dran und du wirst es sehen.
Hängt deine Message vielleicht auch mit dem Buchtitel zusammen: „Am Abgrund wachsen Dir Flügel“?
Zu diesem Buchtitel hat mich der wunderbare Schwarz-Weiß-Film ‚Alexis Sorbas‘ (1963) inspiriert, in dem es heißt: „Wer noch nie am Abgrund stand, dem können auch keine Flügel wachsen.“ Früher war ich sehr zerstörerisch, aufbrausend, aggressiv und habe alles Mögliche an Alkohol und Drogen konsumiert, mich dem Rausch hingegeben, um zu vergessen. Dann kam irgendwann der Punkt, an dem ich mich entscheiden musste: für oder gegen mein Leben. Ich habe mich glücklicherweise dafür entschieden und habe alles danach ausgerichtet, dass es vom Tag meiner Ent-SCHEIDUNG ein gutes wird. Ich habe unter anderem viel gelesen, Sport gemacht und mich gut ernährt.
Damals habe ich auch angefangen Zitate aufzuschreiben, die für mich wie kleine Wegweiser waren.
Leider ist es bei uns Menschen oft so, dass etwas passieren muss, damit wir begreifen, wie wertvoll unser Dasein ist. Wenn du ein sinnvolles Leben willst, dann fülle es mit Sinn. Schaffe dir immer wieder Lichtblicke.
So einfach?
Ja, so einfach. Und jeden Tag aufs Neue immer wieder eine Herausforderung.
Aber, wenn du abheben musst, wirst du einen Weg finden, um über den Abgrund zu fliegen.