3 Fragen an Fleur Sakura Wöss zu ihrem Buch »Innehalten«
Soeben bei btb erschienen
Wie haben Sie als Zen-Lehrerin diese Zeit des Lockdowns, dieses weltweite, erzwungene Innehalten empfunden? Was können wir davon mitnehmen nach der Zeit der Beschränkungen?
Die erste Zeit des Lockdowns war für mich eine große Erleichterung. Es hat sich angefühlt, als ob ich zu Hause angekommen wäre. Endlich musste ich nicht mehr planen und nicht immer meinen Geist in die Zukunft richten. Er konnte beim heutigen Tag, im jetzigen Moment verweilen. Und so erlebte ich die Tage reicher und bewusster. Wie viele andere Menschen erkannte ich, wie wenig ich jeden Tag brauche. Wie tausende andere habe ich meine Wohnung entrümpelt und Platz für Neues geschaffen. Diese Zeit hat unser Auge für die Schönheiten unserer Umgebung geöffnet, wir sind spazieren gegangen und haben Teeparties vor dem Haus veranstaltet.
Im Lockdown lernte ich auch die Regelmäßigkeit des Lebens schätzen. Keine Termine durchbrachen die Tage, ich spürte in meinem Körper, wie gut ihm das tat. Die Rhythmen des Lebens sind für mich heute wichtiger als früher. Der Sonntag z.B. ist mir „heilig“, da mache ich nur die Dinge, die mein Leben bereichern.
Es waren die Begrenzungen des Lockdowns, die uns gezwungen haben, einen neuen Blick zu entwickeln. Diesen Blick nehme ich mit. Ich will in kein Flugzeug mehr steigen, ich fahre lieber mit der Bahn. Ich lehne mehr Projekte ab, denn ich weiß, dass jedes Projekt einen Rattenschwanz von Schreibtischarbeit mit sich bringt. Auch wenn ich dadurch einige Euro nicht verdiene. Ich mache nur das, was mir liegt und was ich gerne mache.
Würden Sie sagen, jeder soll Zen praktizieren?
Nein, das sage ich nicht. Dagegen würde ich schon sehr empfehlen, ZEN kennenzulernen und zumindest eine Zeitlang zu üben. Zen ist ein Weg, um aus dem Lärm der äußeren Welt in die innere Welt des Seins zu kommen. Es hilft, besser zu erkennen, was wesentlich im Leben ist , es hält sein Ohr an unser inneres Wesen. Man kann Zen kurz praktizieren, das ist wie wenn man seine Zehe am Strand ins Wasser steckt. Oder man kann seinen Zen Weg weiter und weiter entwickeln, dann entdeckt man die Tiefen des Menschseins wie einen Ozean. Jeder Mensch ist etwas anders und so ist es sinnvoll, Übungswege kennenzulernen, seinen eigenen zu finden und dabei zu bleiben. Einer dieser bereichernder Übungswege ist Zen.
Wie würden Sie einem Anfänger, einem Interessierten erklären, was die regelmäßige Zen-Praxis in seinem Leben bewirken kann?
In der Zen-Meditation wird der Kopf klar, der Körper gelassen. Wenn ich Zen-Meditation übe, kann ich mit mehr Klarheit und mehr Gelassenheit durchs Leben gehen. Ich persönlich habe erkannt, dass die Stunde des Zen, dieses Innehalten, dieser „Zwischenraum“, mir nicht nur Fokus gibt, sondern auch große Kraft.
Im Japanischen gibt es ein Wort für Zwischenraum, der einen wichtigen Stellenwert im Leben hat. Der Zwischenraum schafft einen Rhythmus, ein Innehalten und ein Gewahrsein für Wesentliches. So ist auch Zen-Meditation nicht nur Innehalten, sondern sie schafft einen Zwischenraum, in dem ich den Blick auf das richten kann, was jetzt da ist – an Herausforderungen, an Schönheit und Reichtum. Die Zen-Praxis verändert den Blick.
© btb Verlag / Penguin Random House (Abdruck nach Rücksprache mit Verlag möglich)
Inge Kunzelmann