Aktuelles | 28.09.2023 | Heyne, der Hörverlag

19.521 Schritte - Guido Maria Kretschmer im Interview

Guido Maria Kretschmer 19.521 Schritte

Am 18. Oktober erscheint Guido Maria Kretschmers neuer Roman 19.521 Schritte. Vom Glück der unerwarteten Begegnung im Heyne Verlag. Das Hörbuch hat der Modedesigner selbst eingelesen. Bei den Aufnahmen im Tonstudio haben wir Guido Maria Kretschmer einige Fragen gestellt.

Lieber Herr Kretschmer, Du oder Sie? 

„Du” gerne. 

Beim Lesen oder Hören Deines Buches fällt auf: Du bist den Menschen durch Deine Präsenz im Fernsehen so vertraut, dass Du immer direkt geduzt wirst. Kannst Du das bestätigen? 

Ja, das ist auf jeden Fall so. Ich glaube, wenn man jeden Tag die Menschen erreicht und so nah dran ist, dann ist man Teil von Familie. Und dann ist man natürlich schnell beim „Du” und nicht beim „Sie”. Abgesehen davon glaube ich auch, dass „Sie” sicher angebracht ist, es aber auch Momente gibt, in denen es keinen Sinn macht. Respekt und Distanz holt man sich nicht durch das „Sie”. Das sind andere Momente, die da wichtig sind. 

Du nennst diese Eigenschaft „drückfähig sein“. Was ist denn damit gemeint? 

„Drückfähig” ist, glaube ich, die Möglichkeit, Menschen zu umarmen und sie nahe haben zu wollen. Das kann man sich ja nach Corona kaum noch vorstellen, aber es ist so: Ich bin als Kind sehr viel umarmt worden von meiner Mama, von meinem Vater, sehr, sehr eng. Ich bin sehr gewöhnt daran, dass man mich drückt und ich bin deshalb „drückfähig” – auch mit Menschen, die ich gar nicht kenne. Ganz häufig werde ich von Menschen auf der Straße umarmt: „Sag Guido, darf ich Sie einmal in den Arm nehmen, so wie meinen Mann?” oder „Ich freue mich, ich muss Sie mal drücken.” Ich finde, sich zu drücken ist eine große menschliche Geste, mehr als „Guten Tag” zu sagen. Manchmal ist Halten ein guter Moment, sozusagen eine Halte-Therapie. Deswegen sage ich immer Spaßeshalber: Ich bin sehr „drückfähig”. 

Zieht man mit einer positiven Art auch positive Begegnungen an? Bis auf ruppige Taxifahrer und Passanten, die ihre Kugelschreiber nicht herausrücken wollen oder ein Problem mit Hundehaufen haben, scheinen ja alle Begegnungen an diesem Spätsommertag in Berlin sehr sympathisch gewesen zu sein. 

Ich glaube, dass das Leben doch sehr sympathisch ist und, dass es viel mehr Menschen gibt, die gut sind, die freundlich sind und die den Laden am Laufen halten. Häufig ist man in der Situation, dass man glaubt, alles wäre etwas unfreundlich und unpersönlich, was nicht unbedingt der Fall ist, denn ich glaube, wie man es ausstrahlt, so kommt es auch zurück. Wenn man freundlich ist, kommt es meistens zurück. Natürlich trifft man immer wieder Zeitgenossen, die vielleicht etwas unglücklich und der Gesellschaft nicht zugeneigt sind. Da ist es dann anders. Aber ich glaube, dass es schön ist, wenn man freundlich durch die Welt geht, dann kommt es wirklich zurück. Da bin ich ganz sicher. „Action speaks louder than words” hat John Lennon gesagt. Ich glaube fest daran, dass das eine Nonverbalität ist, die man mit Menschen hat – das ist ein erster Blick, ein freundliches Zustimmen und nicht abschätzig oder überheblich zu sein. Und vielleicht ist es bei jemandem wie mir, den die Menschen kennen, natürlich für viele auch ein großes Glück, wenn sie mich sehen und denken: „Ach, der Guido ist wirklich so, wie wir ihn aus dem Fernsehen kennen.” Sie sehen, dass es keine Diskrepanz gibt zwischen meiner Persönlichkeit und dem, was sie in den Medien erleben.  Deswegen, glaube ich, geht das mit den positiven Begegnungen bei mir ganz gut. 

Gibt es ein Gefühl von diesem „Machen Sie sich doch mal einen schönen Tag, Herr Kretschmer“-Tag, das Du dir gerne bewahren möchtest?   

Das ist eine sehr gute Frage, finde ich, weil ich das eigentlich gar nicht so kenne. Ich bin ein bisschen „Ora et labora et lege”, also „bete und arbeite und lies mal” – wie ein benediktinischer Mönch. Ich bin von Haus aus sehr fleißig. Ich bin eine Arbeitsbiene. Als ich als Kind gefragt worden bin, was für ein Tier ich sein möchte, wollten meine Brüder ein Hengst oder ein Tiger sein, und ich dachte immer: „Ach nee, ich bin, glaube ich, eine Drohne oder eine Arbeitsbiene, die hält sogar noch länger durch.” Ich mag diesen Gedanken, an einem Ort mit vielen anderen zu sein. Menschen, die so konditioniert sind wie ich und viel machen, die empfinden etwas freie Zeit als etwas sehr Besonderes. 

Wenn ich selbst ein freies Wochenende habe, ist das für mich eine ganz große Nummer. Die Zeit zu genießen und etwas zu machen, das außerhalb meines Plans liegt, versuche ich ein bisschen mehr zu machen. Denn diese Geschichte hat mir auch gezeigt, dass es sehr viele Geschichten an meiner Seite gibt, die mir manchmal verborgen bleiben, weil ich halt immer im Einsatz bin. Und deswegen hoffe ich sehr, dass diese Gefühl bleibt, denn je älter ich werde, desto mehr treibt mich das Leben ja auch vielleicht an die Seitenarme des Lebens. 

Hast Du eine Empfehlung für einen Spaziergang durch Berlin, oder empfiehlst Du die Route aus Deinem Buch abzulaufen? 

Ich glaube, wer Berlin nicht gut kennt und Lust auf 19.521 Schritte hat – oder ein bisschen mehr oder weniger, je nachdem, wie lange man läuft –, der würde Berlin dadurch ganz gut kennenlernen. Es geht vom Osten in den Westen und vom Westen zurück in den Osten und es gibt gute Hotspots entlang der Route. Ich denke, man erkennt diese Stadt darin ein bisschen und, wenn man sich diesen Weg vornimmt, wird man sehen, was das für eine schöne Stadt ist, wie unterschiedlich sie ist und wieviel auf einem relativ kurzen, vielleicht auch längeren Weg passiert. Das wäre bestimmt ganz schön. Hinten im Buch ist auch eine kleine Route angegeben und wer möchte, kann das alles machen. Man muss ja nicht ins Kino gehen oder ins Museum oder Theater. Wenn man das weglässt, dann geht es auch ein bisschen schneller. Sonst kann man auch vielleicht E-Bike oder eine Rikscha nehmen. Es gibt viele Möglichkeiten, den Weg zu erleben, aber ich würde mich freuen, wenn das auch einige Menschen machen werden. 

Du schreibst, dass Du manchmal gerne eine eigene Hotelrezeption in Deiner Wohnung hättest: Wie kann man sich denn sonst noch ein bisschen Hotel nachhause holen? 

Ich glaube, das ist mir sehr gut geglückt. Ich lebe wirklich gut: Ich schlafe in perfekter Bettwäsche, alles ist top aufgeräumt, wenn ich heimkomme. Das Bett ist immer top gemacht. Ich mag es zum Beispiel, wenn die Handtücher gut hängen. Diese Ordnung habe ich in meinem Leben so implementiert, das habe ich früher schon immer selbst gemacht und jetzt, wo ich mehr helfende Hände habe, da haben sie und Frank sich sehr gut darauf eingestellt. Viele Freunde und Gäste, die bei mir wohnen, sagen immer: „Gott, das ist ja wie im Hotel! Bei dir ist es perfekt organisiert.” Und weil ich ein „Versorgungsgen” habe, möchte ich, dass alle meine Freunde genauso gut schlafen sollen wie ich. Darum haben sie den gleichen Luxus. Ich habe als Kind immer Hotel gespielt. Ich war der Hotelgast. Ich hatte einen Bruder, der war immer der Rezeptionist und hat gesagt: „Herzlich willkommen, ich grüße Sie.” Wir haben „Hotel Sacher ... Portier!" gespielt, das war eine Serie in meiner Kindheit. Ich bin dann mit meiner Schwester und mit Koffer zu ihm angereist. So habe ich dann mein Leben lang Hotelgast gespielt und das mache ich heute immer noch ein bisschen. Ich fühle mich wohl in Hotels. 

Du bist gerade im Tonstudio für die Hörbuch-Aufnahmen Deines neuen Buchs „19.521 Schritte“. Wie fühlt es sich an, den eigenen Text einzulesen und fällt es Dir leicht? 

Also eigentlich fällt mir sowas immer leicht. Allerdings fällt es mir genau heute ein bisschen schwerer, da ich seit heute ahne, dass ich eine Brille brauche. Ich dachte, das geht an mir vorbei. Vermutlich ist das ein bisschen so wie zu altern oder schwanger zu werden. Auf einmal merkt man, ach du Schande, irgendwas ist neu. Ich dachte immer, man fängt langsam an, nicht mehr so gut sehen zu können. Letzte Woche war ich noch der festen Überzeugung, ich werde nie eine Brille brauchen. Heute würde ich sagen, ich sollte morgen Früh noch ganz schnell was holen, eine kleine Sehhilfe. Denn auch an mir geht es nicht vorbei. Ansonsten ist das eigentlich ein schöner Moment: Ich habe sehr gern Kopfhörer auf und ich empfinde das Einsprechen als einen sehr kontemplativen Moment. Ich bin großer Fan davon, in einer kleinen Box zu sitzen und meine Stimme zu hören, weil ich mich eigentlich besser hören als sehen kann. 

Was trägt man denn am besten für Aufnahmen im Tonstudio? Nur weil es sehr auditiv wird, muss der Look ja nicht langweilig sein.  

Also ich glaube, man sollte es sich bequem machen, da geht auf jeden Fall bequem vor schön. Es sollte nicht rascheln und man sollte sich auf Lack und sowas nicht unbedingt versteifen, außer natürlich man ist ein großer Fetischfreund und kann nicht davon lassen. Aber ansonsten sollte es bequem sein und nicht zu warm. Ich merke gerade, dass ich doch ganz schön warm angezogen bin, weil ich es zuhause sehr gerne kalt habe. Ansonsten gibt es textile Freiheit, solange das Gegenüber nicht erschrocken ist – ich glaube, ich könnte bei anderen alles ertragen, nur ich selbst würde nicht gerade im Tanga hier sitzen. Was eigentlich schön wäre. Eigentlich wäre ich lieber für meinen Körper bekannt geworden als für das, was ich tue. Das muss ich ganz deutlich sagen. Schön wär's! 

Gibt es Stimmen, denen Du besonders gerne zuhörst? Und hast Du dann direkt eine Vorstellung der Person im Kopf? 

Ja natürlich. Ich habe das ganz große Glück, dass ich einen Partner habe, der wunderschön vorlesen kann. Ich habe das herausgefunden, als wir vor vielen, vielen Jahren zusammen in der Türkei im Urlaub waren. Wir hatten nur ein Buch dabei. Ich lese sehr schnell, wirklich sehr, sehr schnell, und Frank liest sehr, sehr langsam. Wir haben, glaube ich, „Trapez” von Marion Zimmer Bradley gelesen. Das ist ein dickes Ding und ich dachte, wir kommen nicht durch. Und dann haben wir angefangen, dass Frank mir vorgelesen hat, weil ich spürte, dass wir gemeinsam auf einer Seite nicht lesen konnten. Ich sagte: „Frank, bist du jetzt endlich fertig?” Und er meinte: „Ja Guido, es war so schön. Ich habe es nochmal gelesen.” Und ich erwiderte: „Frank, so geht das nicht. Wir müssen jetzt eine Lösung finden!” Und so hat er angefangen mir vorzulesen, bestimmt vor 30 Jahren oder so und seitdem ist es immer so, dass er am Wochenende, wenn ich frei hab, am Samstag für mich liest. Wir lesen ein gemeinsames Buch und jeder liest auch noch seine eigene Literatur. Das Vorlesen ist ein so schöner Moment für mich. Ich habe das so gerne, deshalb würde ich sagen, er ist meine Nummer 1. Meine zweite große Stimme ist meine Freundin Katharina Thalbach. Die Kathi hat eine große Kraft und Anna Thalbach hat das auch. Ich liebe Eva Mattes. Ich kann Evas Stimme so gut hören und ich liebe Hannelore Hoger sehr. Ich bin sehr, sehr glücklich, wenn ich sie höre. Also gibt es so einige, auch tolle Männerstimmen. Ich kann mich begeistern für Stimmen im Allgemeinen und ich mag auch gute Radiostimmen, aber Frank ist meine Nummer 1. 

 

Gerne stellen wir Ihnen das Interview (Transkript und Audio) im Kontext einer Besprechung des Buches/Hörbuches zur Verfügung. Das Transkript und die Audio-Antworten finden Sie unterhalb zum Download.

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Verena Lange

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